BJF-Jahrestagung 2018
Wie lässt sich kulturelle Filmarbeit auch in Zukunft und im digitalen Zeitalter erfolgreich gestalten? Um neue Perspektiven zu entwickeln, macht es Sinn, zunächst das bisher Erreichte zu hinterfragen, sich über die gemachten Erfahrungen auszutauschen und dann die Herausforderungen der Gegenwart klar zu benennen. Der BJF hat daher auf seiner Jahrestagung vom 20. bis 22. April 2018 in Wiesbaden-Naurod ausdrücklich sowohl Gruppen eingeladen, die bereits seit mehr als 15 Jahren regelmäßig Filme der BJF-Clubfilmothek ausleihen, als auch junge Menschen, die sich aktiv in der kulturellen Filmarbeit engagieren und ihre eigenen Vorstellungen von Partizipation und zielgruppengerechten Filmen einbrachten. Neben von letzteren zum Teil selbst vorgestellten neuen Filmen standen Präsentationen, Referate und mehrere Workshops auf dem Programm der Tagung, die über die BJF-Mitglieder hinaus Fachkräften der Jugend-und Kulturarbeit sowie interessierten Lehrer*innen offen stand.
Der Stand der Dinge
Exemplarisch für die Arbeit und die praktischen Erfahrungen vieler BJF-Mitglieder mit Kindern und mit Jugendlichen stehen vier Projekte des Falken Bildungs- und Freizeitwerks NRW e.V., des Kinderfilmrings Hamburg als Teil des Jugendinformationszentrums, vom Kinderhaus Wiesbaden und der FBW Jugend-Filmjury Oberhausen. Diese hatte in ihrer Juryarbeit den Film „Jugend ohne Gott“ von Alain Gsponer bewertet und diskutierte seinen Film mit dem Regisseur ausführlich im Anschluss an die Vorführung. Auch Kritikpunkte blieben nicht ausgespart und wurden vom Regisseur souverän und selbstkritisch beantwortet – ein Gespräch ganz auf Augenhöhe.
Die wichtigsten Ergebnisse aus diesen Projekten und die Herausforderungen für die Zukunft kurz zusammengefasst:
- Das Kinderkino ist bis heute ein sozialer Treffpunkt und Ort ästhetischer Erfahrung geblieben, wobei die Kinder spielerisch und interaktiv lernen, Filme zu sehen und zu interpretieren, Inhalte zu verstehen und zu hinterfragen.
- Im Bereich des Kinderfilms gewinnt die Zielgruppenarbeit mit Kindergarten- und Vorschulkindern an Bedeutung.
- Damit verknüpft besteht ein erhöhter Bedarf an Filmen und Formaten mit unterschiedlicher Länge (z. B. Minis, Kurzfilme).
- Auch der Bedarf an niedrigschwelligen Angeboten in der filmkulturellen Arbeit steigt, zumal das Konzentrationsvermögen vieler junger Menschen im Vergleich zu den letzten Jahren eher im Sinken begriffen ist. Das gilt für Kinder und Jugendliche gleichermaßen.
- Die jungen Zielgruppen sind noch stärker als bisher in die Programmauswahl einzubeziehen, um ihr Interesse zu wecken. Das setzt voraus, das sie über die zur Verfügung stehenden Filme informiert sind bzw. werden. Die Präferenzen zu den Filmen lassen sich beispielsweise über eine Abstimmung mit Klebepunkten ermitteln.
- Grundsätzlich werden derzeit vor allem Filme benötigt (und gewünscht!), die sich mit praktizieren Familienmodellen (z. B. Patchwork, Scheidungskinder, Alleinerziehende) oder auf spielerische Weise mit der Welt der Erwachsenen auseinandersetzen, aber auch mit körperlicher Selbsterfahrung (Nähe und Distanz), geschlechtlicher Identität, Religion und unserem Planeten Erde. Diese Filme sollen nach Möglichkeit nicht nur zum Vergleich mit der eigenen Lebensrealität anregen, sondern auch unterschiedliche Handlungsentwürfe (keine einfachen Lösungen!) bereitstellen.
- Im Unterschied zu gängigen Vorstellungen der Filmindustrie möchte das junge Publikum durchaus Filme mit ernsten Themen sehen, vorausgesetzt, sie sind nahe an der Lebensrealität der Jugendlichen dran, aus ihrer Perspektive und nicht aus der von Erwachsenen erzählt.
- Dem steht in der Praxis entgegen, dass es originäre Filmstoffe immer noch schwer haben, von ihrem Publikum wahrgenommen zu werden, und mit wenigen Ausnahmen nur Literaturverfilmungen eine kommerzielle Rentabilität garantieren.
- Gewünscht werden von den Jugendlichen gut gemachte, ggf. auch umstrittene Filme wie etwa „Der Himmel wird warten“, wenn sie (positive oder auch negative) Emotionen hervorrufen, zur Auseinandersetzung und zur eigenen Meinungsbildung anregen und auf diese Weise etwas bewegen.

Silvia Wieandt, Falken Bildungs- und Freizeitwerk NRW e.V.

Sabine Kaulitzki, Jugendinformationszentrum Hamburg

Jörg Pöse, Kinderhaus Wiesbaden e.V.

Die FBW Jugend-Filmjury Oberhausen präsentierte ihre Arbeit als eine von acht bundesweit tätigen Jugendfilmjurys der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) und diskutierte im Anschluss an die Vorführung des Films „Jugend ohne Gott“ mit dem Regisseur Alain Gsponer (im Bild 2.v.l.) Fragen zum Film und zur Produktion.
Filmbildung – Kontinuitäten und Brüche
In einem Artikel, der 1985 in der Zeitschrift medien praktisch veröffentlicht wurde, schrieben der Medienpädagoge Prof. Dr. Horst Niesyto, Martin Krapf und der spätere BJF-Geschäftsführer Reinhold T. Schöffel über die „aktuelle“ Krise des Films für Jugendliche und machten Vorschläge, wie diese zu überwinden sei. Als Gastredner der Tagung zeigte sich Horst Niesyto erstaunt darüber, dass sich trotz der technischen, medialen und gesellschaftlichen Entwicklungen bis 2018 in Bezug auf mögliche Vorgehensweisen und Herausforderungen keineswegs alles geändert hat. Der „Jugendfilm zwischen Traumfabrik und Wirklichkeit“ muss nach wie vor ein attraktives Programmangebot beinhalten, bei dem die Jugendlichen ihre eigenen Erfahrungen machen und ihre Grenzen ausloten können. Das geht nur, wenn ihnen möglichst viele ungezwungene und unkontrollierte Jugendräume bereitgestellt werden, in denen sie verschiedene Präsentationsformen ausprobieren können, wobei man sich nicht allein auf Spielfilme fixieren sollte. Nur so kann das Kino als sozialer Treffpunkt und soziales Erlebnis funktionieren und die Zuschauer mit sprachlichen, spielerischen und gestalterischen Formen der Nachbereitung zur aktiven Auseinandersetzung mit Filmen animieren. Ideal ist nach wie vor der Brückenschlag zwischen den Jugendlichen, den Medienpädagog*innen, die sich durch Authentizität und persönliche Glaubwürdigkeit auszeichnen sollten, und den Filmschaffenden selbst.
Lediglich zwei Forderungen aus dem Jahr 1985 haben einen grundlegenden Strukturwandel erfahren. Damals galt es noch, Formen der produktiven Filmarbeit zu aktivieren und kreative Filmwerkstätten zu veranstalten. Und 2001 hatte Niesyo gefordert: „Wer in der heutigen Mediengesellschaft etwas über die Vorstellungen, die Lebensgefühle, das Welterleben von Kindern und Jugendlichen erfahren möchte, der sollte ihnen die Chance geben – ergänzend zu Wort und Schrift – sich mittels eigener, selbst erstellter Medienprodukte auszudrücken.“ Mittlerweile ist die produktive Filmarbeit so populär und selbstverständlich geworden, dass die rezeptive Filmarbeit manchmal in den Hintergrund rückt, obwohl diese wichtig geblieben ist.

Prof. Dr. Horst Niesyto, Medienpädagoge
Die Digitalisierung hat wesentlich dazu beigetragen, die produktive Filmarbeit zu erleichtern. Durch die Digitalisierung, die alle Bereiche des Lebens tangiert, stellen sich neue Herausforderungen für die Kinder- und Jugendfilmarbeit, die Prof. Niesyto anhand von drei jugendkulturellen Symbolmilieus darstellte. Sie betreffen die Dimension gesellschaftlicher Deutungs- und medienästhetischer Angebotsmuster, die Dimension gemeinschaftsbezogener Orientierungen und die Dimension ästhetisch-kultureller Aneignungs- und Ausdrucksformen. Daraus ergeben sich u. a. folgende Herausforderungen und veränderte Handlungsansätze für die medienpädagogische Arbeit:
- Die Entwicklung geht von den Tele-Medien hin zur medialen Inkorporation. Apps messen alles, was mit unserem Körper passiert und in welcher (auch) psychischen Verfassung wir uns befinden.
- Es gibt inzwischen massenhaft Producer: Fast jeder kann einen eigenen Film drehen, etwa per Smartphone.
- Zugleich findet eine digitale Spaltung statt, weil nicht alle Jugendlichen den gleichen Zugang zu den Medien haben und diese unterschiedlich nutzen.
- Die Kommerzialisierung in den Medien hat sich weiter fortgesetzt, der „Datenkapitalismus“ führt hin zu einer totalitären Kontrolle.
- Trotz dieser Gefahren gilt es, das Internet auch als Raum zu nutzen, in dem junge Menschen ihre eigenen Erfahrungen machen können. Dabei muss der Schutz der eigenen Rechte integraler Bestandteil der Medienerziehung sein.
- Während die „Digitalpolitik“ in erster Linie auf eine Funktionalisierung der Medien setzt, müssen pädagogische Fachkräfte vor allem eine Grundbildung Medien erhalten, in der die Filmbildung integriert ist. Diese setzt auf Reflexivität, bewahrt und fördert die Vielfalt von Weltzugängen.
- Der subjektorientierte Zugang zu Filmen bleibt wichtig, wobei soziokulturelle Bezüge und die interkulturelle Filmbildung verstärkt zu beachten sind. Dabei sollte der Geschmack des Zielpublikums mit berücksichtigt werden. Um in Dialog mit den Jugendlichen zu treten, sollten nicht nur filmkünstlerisch wertvolle Filme zum Einsatz kommen.
- Der wahrnehmungsorientierte Ansatz ist wichtiger denn je, wobei niedrigschwellige Impulse zu geben sind. Gerade in der interkulturellen Filmbildung lässt sich gut mit Standbildern, Filmplakaten, Flyern oder Schlüsselszenen arbeiten. In einem weiteren Schritt lässt sich mit Kameraeinstellungen experimentieren, wobei die Filmrezeption der Ausgangspunkt zur Filmproduktion ist.
- Die rezeptive Filmarbeit – etwa anhand von Beobachtungsaufgaben und strukturierten Arbeitsblättern – bleibt wichtig, ist inzwischen aber mit einem erhöhten Arbeitsaufwand verbunden, da sie stärker auf Visualisierung achten und den interkulturellen Austausch berücksichtigen muss.
Rechtliche Rahmenbedingungen nichtkommerzieller Filmarbeit *
Zu einer erfolgreichen Filmarbeit im digitalen Zeitalter gehört untrennbar die Berücksichtigung der rechtlichen Bedingungen, um Schaden von sich und letztlich auch von der nichtgewerblichen Filmarbeit insgesamt abzuwenden. Darüber hinaus sind mit den neuen Datenschutzbestimmungen einige weitere Rahmenbedingungen zu beachten. In ihrem Vortrag mit angeschlossenem Workshop ging es der Rechtsanwältin Dr. Diana Ettig darum, ein Problembewusstsein zu schaffen, diffuse Ängste in Bezug auf Sanktionen nach möglichen Rechtsverletzungen zu nehmen und Anregungen für eine produktive nichtgewerbliche Filmarbeit im Rahmen der BJF-Lizenzen zu geben. Siehe hierzu auch die Informationen auf der Website des BJF und im neuen Online-Filmportal, das von Udo Lange, dem IT-Administrator des BJF, auf der Tagung vorgestellt worden ist.

Dr. Diana Ettig, Rechtsanwältin
(Auch) bei einem Filmwerk wird grundsätzlich unterschieden zwischen dem Urheberrecht, das immer beim Urheber selbst bleibt, und dem Nutzungsrecht, das durch Lizenz- oder Schranken- bzw. Ausnahmeregelungen übertragen werden kann. Diese Rechte werden beim Film gebündelt durch den Produzenten und/oder Weltvertrieb, der wiederum die Lizenzrechte (z. B.) an den BJF für die nichtgewerbliche Filmarbeit nach § 60a des Urheberrechtsgesetzes vergibt. Hierbei darf keine Konkurrenz zur gewerblichen Auswertung eines Films (etwa im Kino) entstehen. Gewährleistet wird dies u. a. durch den zeitlichen Abstand zur Kinoerstauswertung mit dem Erscheinen einer DVD, durch den klar definierten Kreis der Adressaten von Kindern und Jugendlichen, die aus räumlichen oder finanziellen Gründen keinen Zugang zu Filmen haben und durch die Filmauswahl von hochwertigen nichtpopulären Filmen oder Filmen für eine bestimmte Zielgruppe. Da es bis heute keine allgemein verbindliche Definition von „nicht-gewerblich“ gibt, kann es dennoch zu Interessen- und Rechtskonflikten kommen, selbst wenn die Vorführung keinem Erwerbszweck dient und keine Eintrittsgelder verlangt werden, abgesehen von einem ebenfalls nicht genau definierten minimalen Kostenbeitrag. Auf der sicheren Seite ist, wer sich exakt an die Lizenzbedingungen des BJF nach § 60a UrhG hält. Die Ankündigung einer Veranstaltung auf der eigenen Website, die im Internetzeitalter eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, streift dagegen bereits eine rechtliche Grauzone. Und eine klare Rechtsverletzung wären beispielsweise hohe Eintrittspreise oder die Verteilung von Programmflyern in der breiten Öffentlichkeit. In einem solchen Fall können zivilrechtliche Konsequenzen und Schadenersatzforderungen drohen.
Selbst wenn wohl kein BJF-Mitglied vorsätzlich Rechtsverletzungen begeht, kann es dennoch zu Interessenkonflikten mit anderen Rechtenutzern kommen. Hier empfiehlt Frau Dr. Ettig, bei der Beurteilung immer den Gesamtzusammenhang einer Veranstaltung mit zu berücksichtigen und das Gespräch mit der „Gegenseite“ zu suchen. Wenn eine Spielstelle von einem Filmverleih o. ä. angefragt wird, ob und bei wem das Recht zur Filmvorführung erworben wurde, so können BJF-Mitglieder dazu meist ganz einfach auf den BJF verweisen, von dem sie den Film geliehen oder erworben haben. Damit ist das Problem in den meisten Fällen gelöst. Bei weiter gehenden Fragen steht die BJF-Geschäftsstelle bei Bedarf mit Rat und Unterstützung zur Verfügung, ggf. gemeinsam mit Dr. Ettig. Eine Unterlassungserklärung sollte aber möglichst nicht unterschrieben werden, da sie einem Schuldeingeständnis gleichkäme.
Im Workshop wurde anhand des Beispiels der Organisation eines kleinen Filmfests Schritt für Schritt untersucht, was zu beachten ist, welche Fallstricke es geben könnte und was eine klare Rechtsverletzung wäre. Auch hier gilt, immer vorab das Gespräch mit dem jeweiligen Lizenzgeber zu suchen. In Bezug auf die eigene Website und die neue Datenschutzverordnung wies die Rechtsanwältin besonders darauf hin, dass Kinder (bis 16 Jahre) einen besonderen Schutz genießen und die auf der Veranstaltung mit ihnen gemachten Fotos zur Veröffentlichung einer Einverständniserklärung der Eltern bedürfen. Auch sollte die neue Datenschutzerklärung auf der Website stehen und darauf geachtet werden, längst überholte Inhalte im Sinne der „Pflege einer Website“ zu löschen.
Die Zielgruppen haben das Wort
Erklärtes Ziel der Jahrestagung war es, die eingeladenen Jugendlichen so stark wie möglich in das Programm einzubinden, etwa am Eröffnungsabend mit der FBW Jugend-Filmjury Oberhausen oder mit der Spinxx-Redaktion Münster und ihrem Online-Magazin für junge Medienkritik, die den Spielfilm „Blanka“ von Kokhi Hasei über philippinische Straßenkinder vorstellte. Darüber hinaus konnten die Jugendlichen in einem Workshop einen Filmkritik-Kanal auf YouTube entwickeln, der später auch realisiert werden soll und drei Varianten zum Ergebnis hatte. Allen gemeinsam war die aktive Einbeziehung der User in die Auswahl und Bewertung der Filme sowie die direkte Verlinkung auf andere Social Media. Unterschiede gab es in einigen Details, etwa zur Periodizität, zum Umfang, zur Zweisprachigkeit oder bei den Fragen, inwieweit neben den Filmen und Diskussionsrunden auch Events einbezogen werden, die Redaktion persönliche Einblicke in ihre Arbeit geben sollte oder gar Tutorials anbietet.

Die Spinxx-Redaktion Münster stellte den Film „Blanka“ vor
Das Kino ist nicht tot, es hat sich aber verändert. Daher müssen neue Wege gefunden werden, um Jugendliche anzusprechen und partizipativ in die Filmarbeit einzubinden. Der BJF hat lange vor dieser Tagung bereits Weichen dafür gestellt, um den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein, nicht zuletzt auch dank der zweiten Förderphase von „Movies in Motion – mit Film bewegen“.
Text und Fotos: Holger Twele
* Weitere Informationen:
1. Die bei der Jahrestagung vorgestellten „Informationen zur Kinder- und Jugendfilmarbeit mit dem Bundesverband Jugend und Film e.V. (BJF)“ stehen im Bereich der BJF-Clubfilmothek zur Verfügung.
2. Tagungsteilnehmer*innen können die Folien der Präsentation von Frau Dr. Ettig in der BJF-Geschäftsstelle anfordern.