Zum Artikel springen
Dokumentation 2022
BJF-Jahrestagung

Filme grenzenlos – gegen Rassismus und Antisemitismus

BJF-Jahrestagung 2022

Die diesjährige Jahrestagung des BJF im Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden-Naurod ging den Fragen nach, wie sich Filme nutzen lassen, um mit Kindern und Jugendlichen, aber auch allgemein im persönlichen Lebensumfeld über Rassismus und Antisemitismus zu sprechen, um Vorurteilen entgegenzutreten und rassistische Verhaltensweisen und Sprachmuster zu erkennen und kritisch zu reflektieren. Dabei waren neben Betroffenen und Fachreferent*innen viele junge Filmschaffende sowie Mitglieder der FBW-Jugendjurys aus Berlin, Chemnitz, Marburg und Oberhausen. Eine Dokumentation von Holger Twele.

Gleich in den ersten Veranstaltungsrunden mit kurzen Dokumentarfilmen zum Thema und einem Startimpuls wurde deutlich, dass wir durch die Geschichte und unsere Sozialisation alle von Rassismus und Antisemitismus beeinflusst sind, nur vage Vorstellungen darüber haben und problematische Sprachmuster reichlich unreflektiert benutzen. Der Diskurs in beiden Themenbereichen ist so tief in uns verwurzelt, dass er sich auch in vielen Abbildungen, Karikaturen, in der Werbung und in Filmen widerspiegelt. Jemandem da gleich böse Absichten oder gar eine latente „Rechtslastigkeit“ zum Vorwurf zu machen, wäre genau der falsche Weg. Und längst hat sich die Neue Rechte sogar Sinnbilder und Wertvorstellungen aus dem linken Spektrum zunutze gemacht und sie zu eigenen Zwecken umgemünzt. Besonders deutlich wurde das bei dem in der Tagung diskutierten Film “Je suis Karl“, auf den später noch genauer einzugehen ist. Viele Bilder und Klischees haben wir vollkommen unbewusst im Kopf! Daher meinte eine unmittelbar von Rassismus Betroffene: „Es ist nicht schlimm, wenn man Fehler macht.“ Wichtig ist es dagegen, andere Menschen auf solche Konnotationen in Bezug auf Rassismus und Antisemitismus aufmerksam zu machen, nicht einfach abzublocken, zur Reflexion anzuregen und mehr Empathie für diejenigen zu wecken, die gemeint sind und willkürlich diskriminiert werden.

Sehr gelungen ist bei dieser Tagung die unmittelbare Verknüpfung von Sachinformationen und Impulsreferaten mit sorgfältig ausgewählten Filmen, insbesondere aus der BJF-Clubfilmothek. Schließlich wollen viele BJF-Mitglieder mit solchen Filmen arbeiten und besser einschätzen können, was sie zu erwarten haben beziehungsweise worauf sie besonderes Augenmerk legen sollten. In der vorliegenden Dokumentation wurde dieser Aspekt mit farbigen Textpassagen hervorgehoben. Grundsätzlich ging es weniger um die Frage, wie sich die beiden eng miteinander verknüpften Themen filmisch gut umsetzen lassen. Schließlich wurden diese Filme ausgewählt in der festen Überzeugung ihrer Eignung. Filme sind als Projektionsflächen besonders geeignet. In konstruktiver Weise geschieht das, um mögliche Abwehrmechanismen zu durchbrechen, den alten Klischees und Erzähltraditionen etwas entgegenzusetzen und insbesondere auch Denkstrukturen aufzubrechen, in denen es um wertende Gegensätze zwischen verschiedenen Gruppierungen geht, etwa dem „ihr“ und dem „wir“. Es lohnt sich daher, mit diesen Filmen als „Stolpersteinen“ auf die Jugendlichen zuzugehen.

Letztere Aussage mag vor allem in der Filmakquise und im Vertrieb seine Berechtigung haben. Für die Tagung selbst trifft sie weniger zu. Denn sowohl bei den unabhängigen Produktionen junger Filmschaffender zu den beiden Themen als auch bei der Vorbereitung und Moderation der einzelnen Programmblöcke waren Jugendliche unmittelbar eingebunden. In diesem Jahr vor allem Mitglieder der FBW Jugend Filmjury mit Nola Hohlwein und Emila Pegler aus Berlin, Konstantin Heuberg aus Chemnitz, Ariane Köller und Leonie Schwartzberg aus Marburg sowie Nike Glensk, Jana Thelen und Paula Engelke aus Oberhausen. In diese Richtung der unmittelbaren Partizipation sollte es auch in Zukunft weiter gehen. Und vielleicht lässt sich auch der intergenerativer Austausch noch weiter fördern.

 

Was ist Rassismus?

„Rassismus ist eine Art von Diskriminierung. Durch Rassismus werden Menschen zum Beispiel wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Haare, ihres Namens oder ihrer Sprache diskriminiert, ausgegrenzt und abgewertet. Rassismus ist die Erfindung, dass es bei Menschen unterschiedliche ‚Rassen‘ gibt. Und Rassismus ist die Erfindung, dass diese ‚Rassen‘ eine Ordnung oder eine Reihenfolge haben. Rassismus diskriminiert Menschen.“ https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-in-einfacher-sprache/322448/rassismus/

In seinem Einführungsvortrag wies Bijan Razavi, Bildungsreferent und Mitarbeiter im Kompetenznetzwerk Antisemitismus, darauf hin, dass es verschiedene Definitionen von Rassismus gibt. Allen gemeinsam ist die historische Perspektive. Rassismus entstand mit den konstruierten Gegensätzen von Zivilisierten und Barbaren, Gläubigen und Heiden. In der Ära des europäischen Kolonialismus und im festen Glauben, alles habe im Kosmos seinen Platz und seine Rangordnung, wurden die Menschen nach bestimmten Kriterien unterteilt. Carl von Linné war in seinem Buch „Systema Naturae“ (1735), der erste, der die Menschen in vier Rassen unterteilte. Erst später wurde diesen sogenannten Rassen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Menschen wurden auf die Ebene von Tieren gestellt, etwa durch den Philosophen Emanuel Kant, der zugleich für die Aufklärung steht.

Nach 1945 war Rassismus geächtet, aber das rassistische Wissen lebte in der Kontinuität gesellschaftlicher Strukturen weiter. Nur ersetzte nun die Kultur den Begriff der Rasse. Um soziale, politische und materielle Grundlagen und Unterschiede zu erklären, bedient man sich bis heute der Funktionsweise von Rassismus. Zunächst werden die Menschen in Gruppen eingeteilt und die jeweilige Gruppe homogenisiert. Die eigene Gruppe wird im nächsten Schritt als die „normale“ Referenzgruppe betrachtet, von der sich andere Gruppen deutlich unterscheiden. In einem dritten Schritt erfolgt die willkürliche Hierarchisierung der Gruppen, indem sie mit verschiedenen Wertungen versehen werden.

Ähnliche Mechanismen finden sich auch beim Antisemitismus. Nur liegen hier die Wurzeln in der Religion, in der Judenfeindlichkeit der Antike und des Mittelalters. Mit der Übernahme der Rassentheorie wurde die Religion durch das Volk ersetzt und traditionelle antijüdische Stereotype radikalisierten sich. Wie beim Rassismus findet auch hier eine Normierung statt in Fremdgruppe und Eigengruppe. Letztere bildet die Norm. Während auf der Stufe der Hierarchisierung beim Rassismus die andere Gruppe als unterlegen angesehen wird, scheint sie beim Antisemitismus überlegen, was bis hin zu krassen Weltverschwörungstheorien führt. Siehe hierzu auch das Kapitel zum Antisemitismus.

 

Der Film “Je suis Karl“

Nach der Vorführung des Films von Christian Schwochow gab es ein Gespräch mit dem Drehbuchautor Thomas Wendrich. Bevor Thomas Wendrich das Drehbuch zu “Je suis Karl“ entwickelte, hat er einen Film über den NSU gemacht. Am neuen Filmstoff interessierte ihn vor allem die zunehmende Demokratiefeindlichkeit und die Frage, wo diese Menschen aus der rechten Szene in den 1990ern „falsch abgebogen“ sind. Obwohl er Karl für eine sehr realistische Figur hält, die über Charisma verfügt, erfährt man im Film fast nichts über seine Vergangenheit. Wendrich möchte aber keine Erklärung für seine Taten geben, vielmehr stehen die Opfer im Mittelpunkt und die Frage, wozu liebende Menschen fähig sind, wenn ihnen das Liebste genommen wird.
Seinen Recherchen zufolge gibt es unglaublich viele rechte Gruppierungen in Europa. Diese Menschen sind oft gut gebildet und die Männer sehen inzwischen eher aus wie Jurastudenten. Karls Täterschaft beim Anschlag sollte von Anfang an klar sein, denn dieses Wissen beim Publikum macht die Notlage von Tochter Maxi, die einen Teil ihrer Familie verlor, noch deutlicher. Und sollte Karl als Figur tatsächlich faszinieren, dann nur im Wissen, dass er ein Massenmörder ist. Insgesamt möchte der Film daher irritieren und zur Diskussion anregen.
Christian E. Weißgerber ergänzte, dass sich die rechte Szene stark verändert hat und insbesondere über das Internet sehr mitteilsam geworden ist. Der auf die Mordanschläge in Paris anspielende Titel sei ein gutes Beispiel dafür, wie die neue Rechte linke Slogans (Je suis Charlie!) instrumentalisiert und für eigene Zwecke ummünzt. Das sei auch eine Aufforderung, besser darauf zu achten, woher die Quelle stammt und ob sie okkupiert wurde.
Insgesamt bedauerten alle, dass der Film es in der Kinoauswertung nicht geschafft hat, das junge Publikum anzusprechen. Dieses scheint sich unabhängig von der Pandemie offenbar weniger für Arthouse-Filme im Kino als für Netflix zu interessieren.

 

Rassismus und Rechtsextremismus
Christian E. Weißgerber

Der Bildungsreferent und Musiker Christian E. Weißgerber war in der militanten Neonazi-Szene in Thüringen aktiv und zog sich 2010 aus der rechten Szene zurück. Im sehr persönlich gehaltenen Referat erklärte er anschaulich anhand seiner Biografie, warum er sich damals radikalisiert hatte. Diese Beweggründe widerlegen teilweise gängige Klischeevorstellungen über die „Rechte“ und sie werfen nebenbei auch ein kritisches Licht auf gesamtgesellschaftliche pädagogische, soziokulturelle und politische Entwicklungen.

Weißgerber bestätigte, dass auch bei ihm Rassismus etwas mit Gruppenbildung zu tun hatte und Propaganda eine erhebliche Rolle spielte. In seinem Alltag waren antikommunistische Ideologien und Alltagserzählungen bestimmend. Dieses Gedankengut greift immer in der Mitte der Gesellschaft an und aus solchen Alltagserzählungen, die bereits allgemein bekannt sind, leiten sich dann die Verschwörungstheorien ab. Beispiele dafür sind die Stadt Eisenach als Kulturstadt (Luther-Bibel), Burschenschaften, die Wende 1989, der „Ausverkauf der DDR“ und ein hoher Anteil an neu Zugezogenen.

Aus der Arbeiterschicht stammend, erfüllte Weißgerber allerdings nur einen Teil der gängigen Klischees über Neonazis. Seine Politisierung fand durch sein starkes Ungerechtigkeits-Empfinden statt. Auch Gewalterfahrungen in der Familie spielten eine Rolle, wobei das damit häufig verknüpfte Besitzdenken der Eltern zugleich ein allgemeines strukturelles Problem ist. Die Infrastruktur der Neonazi-Szene war noch nicht vorhanden, sie musste erst erkämpft und aufgebaut werden. Dazu trugen bei:

Nazis werden oft als Monster dargestellt, das erzeugte Grusel und Spannung gleichermaßen. Als Teil der Arbeiterklasse fühlte er sich als Elite und war zugleich der Metal-Szene stark verbunden. Aber nicht die Musik verführte ihn, sondern sie dockte nur unmittelbar an Haltungen und seine Gefühlswelt an. Alltagserzählungen im Umfeld stellten die Deutschen als „tolle Truppe“ dar. Sie hatten offenbar Kultur, waren Exportweltmeister und Fußballweltmeister, sie waren „deutsch“. Daher wollte er ohne böse Hintergedanken auch ein Deutscher sein. Sein kritisches Denken führte dazu, dass er die offiziellen Wahrheiten als Lüge wahrnahm und Autoritäten infrage stellte. In der Schule fühlte er sich gar als „einziger kritischer Geist“. Die Statistik, derzufolge deutsche Frauen im Durchschnitt nur noch 1,7 Kinder gebären, führte zur Vorstellung, dass das eigene Volk ausstirbt. Angela Merkel dagegen wurde als Migrationspolitikerin gesehen. Aus diesem rassistischen Bedrohungsszenario heraus entwickelten sich rechtsradikale Vorstellungen. Es galt für ihn, Verantwortung zu übernehmen und die deutsche Kultur in einer Art Notwehrmaßnahme zu verteidigen. Sein Fazit über diese Entwicklung: „Die Wut richtig zu kanalisieren ist eines der großen Probleme demokratischer Gesellschaften.“

Siehe hierzu: Christian E. Weißgerber: Mein Vaterland. Warum ich ein Nazi war, orell füssli Verlag 2019

 

Was ist Antisemitismus?

Die International Holocaust Remembrance Alliance gibt die folgende Arbeitsdefinition für Antisemitismus: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

In Fortführung seines Impulsreferats vom Vortag ging Bijan Razavi genauer auf die Entstehung und Ausprägungen des Antisemitismus ein. (Hinweis: Wenn hier metasprachlich nur von Juden die Rede ist, sind im Sinne der Genderisierung Jüdinnen und Juden gleichermaßen gemeint.)

Der christliche Anti-Judaismus entstand aus dem Abspaltungsprozess des Christentums vom Judentum. Viele in der eigenen Religion umstrittene Probleme, wie etwa das Abendmahl, bei dem „das Blut Christi“ getrunken wird, wurden auf das Judentum projiziert. Hinzu kamen spätere Lesarten und Übersetzungen der Bibel. Daraus entstanden schließlich die Ritualmord-Legende (christliche Kinder werden gefoltert, getötet und ihr Blut getrunken), die Brunnenvergiftungs-Legende (Juden vergiften die Brunnen, um Christen zu töten), das Bild der Juden als Intimfeinde des Christentums (Martin Luther im Buch Esther), die jüdische Gier und der Wucher. Juden, denen im Mittelalter keine anderen Gewerbe erlaubt waren, wurden als habgierige Geldverleiher wahrgenommen, eine Unterscheidung von schaffenden und raffenden Menschen getroffen.

In der Moderne verlagerte sich der Antisemitismus von der Religion zum Volk hin. Juden wurden als innere Volksfeinde betrachtet, antijüdische Vorstellungen radikalisierten sich. Zugleich fand ein Andocken an die Rassenideologie statt (z. B. rassifiziertes Aussehen, das angeblich Heimtücke erkennen lässt, geschlechtliche Uneindeutigkeit). Mit der Dolchstoß-Legende wurde ihnen der Verrat am Volk unterstellt, Juden standen für Demokratie und Kommunismus und wurden über den Gegensatz von ehrlicher Arbeit und Gier mit dem Kapital identifiziert. Es entstanden neue Bilder und ein Welterklärungs-system, mit dem Juden für gesellschaftliche Krisen verantwortlich gemacht wurden bis hin zur Weltverschwörung. „Das jüdische Prinzip“ wurde zum totalen Bedrohungsszenario, bei dem die Vernichtung den logischen Kulminationspunkt bildete.

Nach dem Zweitem Weltkrieg waren antisemitische Vorstellungen weiter vorhanden, obwohl Antisemitismus offiziell verpönt war. Daraus entwickelte sich die „Notwendigkeit“ der Umweg-Kommunikation durch Relativierung oder Leugnung des Holocaust, der Aufrechnung der Opfer etwa mit der Anzahl getöteter Tiere zum Verzehr und der Schlussstrich-Debatte. Auch neue Verschwörungstheorien mit antisemitischem Kern entstanden, über eine geheimnisvolle Macht, die angeblich alles bestimmt (QAnon, Heuschrecken-Vergleiche).

Heute ist der auf Israel bezogene Antisemitismus die häufigste Form des Antisemitismus, wobei dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen und vom Völkermord der Juden an den Palästinensern gesprochen wird. Alle diese Diskurse sind tief in der Gesellschaft verwurzelt und werden oft unbewusst auch über die Medien und über Filme verbreitet.

Siehe hierzu: 2010_AFZ_Broschuere_Antisemitismus_RZ-Online_Doppelseiten.pdf https://www.annefrank.de

 

Filmkulturelle Arbeit mit “Masel Tov Cocktail“

Wie Bijan Razavi weiter ausführte, bietet der mehrfach preisgekrönte deutsche Kurzspielfilm von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch aus dem Jahr 2020 gute Voraussetzungen, um im pädagogischen Raum antisemitische Vorstellungen zu problematisieren und sich dabei klar zu positionieren.

Einige Anknüpfungspunkte:

  • Indem Juden in Schwarzweiß gezeigt werden, erfolgt eine Gruppenzuschreibung

  • Ein Bewusstsein über öffentliche Erinnerungskultur (Mahnmal) ist kaum vorhanden, 41 Prozent der Jugendlichen kennen die Namen der Konzentrationslager nicht

  • Die Vergangenheitsbewältigung wird ritualisiert, Erinnerungsbilder werden mit Nationalstolz verbunden

  • Die Vorstellung der Juden nur als Opfer unterschlägt, dass allein 500.000 Juden in der Roten Armee gekämpft haben

  • lebenden Juden stammen aus Russland

  • Im deutschen Alltag sind viele Details nicht mehr bekannt, etwa die jüdischen Vorbesitzer von Kaufhof oder der Nationalsozialismus von Hugo Boss

  • Ebenfalls gibt es kaum ein öffentliches Bewusstsein über die damaligen Arisierungen, stattdessen eine rein private Erinnerungskultur oder Projektionen

  • Der seltsame Umgang mit Witzen über Juden („Das war doch nur Spaß!“)

In den Filmgesprächen ist darauf zu achten, dass der bedürfnisorientierte Bezugsrahmen immer klar ist und der Schutz der Betroffenen an erster Stelle steht. Wichtig sind auch die Trennung von Person und Problematisierung und die Unterscheidung zwischen (oft guter) Absicht und Wirkung. Dem Gedanken der Prävention auf der Grundlage einer selbstreflexiven Grundhaltung entspricht die Auseinandersetzung mit Ungerechtigkeiten (strukturellen Ursachen), ein behutsames Nachfragen, die Vermittlung von Medienkritik und die Problematisierung von Verschwörungsmythen.

In einer weiteren Gesprächsrunde verglichen die Jugendlichen den Filmklassiker Nacht und Nebel“ von Alain Resnais aus dem Jahr 1955 über den Holocaust und die Schrecken der Konzentrationslager mit dem Film Masel Tov Cocktail“ von 2020 in Bezug auf die besondere Eignung für ein junges Publikum. Hier fiel das Votum eindeutig zugunsten des neuen Films aus, denn indem er die vierte Wand durchbricht, spricht er das Publikum direkt an und ist auch viel persönlicher.

Gerade weil der Film von Resnais heute auf eine völlig veränderte Rezeptionshaltung nicht zuletzt aufgrund medialer Überflutung stößt, lassen sich beide Filme nicht wirklich vergleichen. Beide Filme haben ihre Berechtigung und es kommt auf den jeweiligen Kontext an, mit welchem der beiden Filme man (zuerst) arbeiten möchte.

 

Und morgen die ganze Welt“

Tonio Schneider, einer der Hauptdarsteller im Film von Julia von Heinz über eine linke Antifa-Gruppe im Widerstand gegen Rechtsextreme, stand dem Publikum Rede und Antwort auf wichtige Fragen, die der Film aufwirft:

  • Was macht die linke Szene aus und was unterscheidet sie von der rechten Szene?

  • Wie extrem darf man werden nach Artikel 20 des Grundgesetzes, der im Film mehrfach zitiert wird? Und ist hier nicht auch deutlich zu unterscheiden zwischen demokratischen Gegnern und Feinden der Demokratie? Denn vor allem diese Feinde wenden den Artikel an, um die Demokratie von innen heraus zu zerstören. Tödliche Gewalt von Links gibt es heute kaum noch, bei den Rechten stehen dagegen viele Menschen auf Todeslisten.

  • Warum radikalisiert sich die weibliche Hauptfigur so stark (sexueller Übergriff)?

  • Wie begegnet man dem rechten Terror richtig?

  • Wie können wir uns wehren, wenn selbst die Polizei immer mehr nach rechts driftet?

  • Welche Form von Gewalt geht noch, wo ist der Bogen überzogen? Hier stehen die drei Hauptfiguren stellvertretend für unterschiedliche Antworten.

Hinzuweisen bleibt am Ende noch auf weitere Filme zu den Themen, die auf der Jahrestagung gezeigt und diskutiert wurden: Etwa der Kinderfilm “Binti – Es gibt mich!“ von Frederike Migom über Migration, Abschiebung und eine belgisch-kongolesische Freundschaft sowie der deutsche Coming-of-Age-Film “Futur drei“ von Faraz Shariat über post-migrantische Erfahrungen, Heimat und Zugehörigkeit vor der Folie einer homosexuellen Liebesbeziehung. In seinem Streifzug durch das aktuelle Filmprogramm der Werkstatt der Jungen Filmszene wies Philipp Aubel darauf hin, dass auch etliche dieser Beiträge sich mit Rassismus und Antisemitismus beschäftigen, wobei Übergriffe und Gewalt gegen Frauen diesmal besonders virulent waren.

Nicht zuletzt sei auf die Kurzfilmauswahl zu Rassismus und Antisemitismus hingewiesen, die der Jahrestagung erste Einblicke und Diskussionsgrundlagen gab. Eine wichtige Quelle dazu waren die Programme “Black Lives Matter 1 und 2“ des Medienprojekts Wuppertal. Einige dokumentarische Formen mögen in der schnellen Aneinanderreihung von Statements auf der Straße vielleicht etwas textlastig gewesen sein, andere gingen differenzierter mit den Möglichkeiten des Mediums Film um, wie beispielsweise der preisgekrönte Kurzfilm “Ihr wolltet es ja so!“ von Emily Winkelsträter.

Holger Twele

 

Die meisten der gezeigten Kurzfilme von Freitag 16:00 Uhr sind frei zugänglich:

 

Frankfurt klagt an: Keine Einzeltäter, 8 Min.
youtube

Prozessauftakt gegen den Attentäter von Halle, 7 Min.
youtube

Terroranschlag Hanau, 20 Min
youtube

Rassist, Ich?, 10 Min.
nur ondemand auf Vimeo

Weil wir schwarz sind, 30 Min.
youtube

Sa 11:00

Straßenumfrage zum Thema Rassismus, 14 Min.
youtube | RISE

Wir sind doch auch Menschen, 6 Min.
youtube | RISE

Wir sind, 8 Min.
youtube | RISE

Unsere Realität, 10 Min.
youtube

Ihr wolltet es ja so!, 6 Min.
youtube

Einzelne Projekte des BJF werden gefördert vom

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend