Dokumentation: BJF-Jahrestagung 2025
Jenseits von Konsum und Filterblase – Welche Welten zeigen Kinder- und Jugendfilme?
9. - 11. Mai 2025, Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden
Auch 2025 wurde die BJF-Jahrestagung wieder zu einem lebendigen Ort des Austauschs, des gemeinsamen Filme-Rezipierens und Besprechens. Der diesjährige Fokus auf verschiedene Filmwelten und die kritische Auseinandersetzung mit Konsum und Filterblasen ermöglichten es Teilnehmenden aus dem gesamten Bundesgebiet – im Alter von 12 bis 79 Jahren – zusammenzukommen, um aktuelle Filme zu sehen, über Filmkultur zu diskutieren, neue Impulse für die filmische Bildungsarbeit zu erhalten und - vor allem - in ganz diverse und teilweise "verborgene" Welten einzutauchen. Eine Dokumentation von Emily Winkelsträter.
Die diesjährige Tagung war besonders geprägt von angeregten Diskussionen und offenen Fragen rund um Repräsentation, Diversität, Medienkompetenz und digitale Medienwelten sowie die Zukunft der Filmvermittlung. Die Jurymitglieder der FBW-Jugendfilmjurys aus Chemnitz, Frankfurt, München und Münster wirkten auch in diesem Jahr wieder kuratorisch mit, moderierten die zahlreichen Filmgespräche und leisteten damit erneut einen unverzichtbaren Beitrag zur Gestaltung der Diskurse.
Türöffner für ebendiese Diskurse war auch der Dokumentarfilm "And the King Said, What a Fantastic Machine" von Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck (Schweden/Dänemark, 2023) unter der Moderation von Lacey und Finja (FBW-Jugend Filmjury Chemnitz und Frankfurt). Zusammengesetzt aus Archivmaterial und Found Footage war der Film nicht nur eine kritische Reflexion über unsere Bilderflut und die Content-Kultur, sondern auch selbst ein Teil dieser Bildgewalt, beobachteten die Teilnehmenden. Er setzte damit einen gelungenen ersten Anker, öffnete das Gespräch über Filterblasen, digitale Repräsentationen und mediale Überforderung und warf Fragen auf wie: Wie beeinflussen Bilder unser Weltbild? Wie können wir Filterblasen verstehen – und sie vielleicht auch positiv nutzen? Welche Verantwortung tragen Filmschaffende und Pädagog*innen im Umgang mit ungefilterten Bildern? die im weiteren Verlauf der Tagung immer wieder erörtert wurden.
Nach der offiziellen Begrüßung durch Günther Kinstler (Vorsitzender BJF), Leonie Rieth (BJF, Öffentlichkeitsarbeit) und Lena Hormel (BJF, Öffentlichkeitsarbeit) rundete Dr. Josephine B. Schmitt (CAIS – Center for Advanced Internet Studies) mit ihrem Vortrag den inhaltlichen Auftakt ab. Unter dem Titel "Zwischen Filterblase und Faszination: Wie digitale Medien das Aufwachsen prägen" analysierte sie die Mechanismen digitaler Medien: wie Algorithmen Echokammern schaffen, welche Rolle "Dark Patterns" spielen und wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen digitale Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Anstatt Social Media zu verteufeln, plädierte sie dafür, gemeinsam mit jungen Menschen ihre Medienrealitäten zu erforschen. Die Frage sei nicht, ob Jugendliche mit digitalen Medien aufwachsen, sondern wie wir dieses Aufwachsen begleiten. Die anschließende Diskussion unterstrich, wie stark das Thema im pädagogischen Alltag verankert ist.
Der Spielfilm "Grüße vom Mars" (2024, Regie: Sarah Winkenstette) bildete den Programmabschluss des ersten Tages. Die filmische Umsetzung (besonders Farb- und Geräuschwelt) ermöglichte es, in die Welt von Tom einzutauchen und sich der Welt aus seiner Perspektive anzunähern. Julius und Naomi der FBW-Jugend Filmjury Münster und Chemnitz stellten gezielte Beobachtungsfragen zur filmischen Gestaltung. In der Diskussion ging es um die Stärke des Films, komplexe Themen wie Neurodivergenz zugänglich zu machen, aber auch um Repräsentation, Genderrollen und den Wert von Entschleunigung im digitalen Zeitalter.
Im Anschluss klang der Tag bei einem geselligen Mix & Mingle aus.
Tag 2
Der Samstag startete mit dem gemeinsamen Frühstück und der Möglichkeit zu einer kurzen Yogaeinheit. Im Anschluss ging es im Programm mit einer Kurzfilmauswahl weiter, die deutlich machte, wie wichtig es ist, kindgerechte, aber anspruchsvolle Inhalte anzubieten – auch und gerade im Kurzfilmformat. "Nur ein Kind", "Farah" und "Home Office" boten dabei unterschiedliche ästhetische und inhaltliche Zugänge zu den Themen Zukunft, Resilienz, Klimakrise und Aktivismus, Familienrealitäten, Suchterkrankungen und Co-Abhängigkeit. Dabei zeigten sie auch, wie gewaltig Welten sein können, wie sie miteinander kollidieren können und wie man vielleich nicht immer Lösungen, aber in der Gemeinschaft Bewältigungsstrategien finden kann.
Vor dem Mittagessen bestand die Möglichkeit, einen weiteren Film - unter der Moderation von Pauline und Ada (FBW-Jugend Filmjury München) - zu besprechen. In "Young Hearts" (2024, Regie: Anthony Schatteman) von konnte erneut über Repräsentation reflektiert werden – besonders in Hinblick auf queere Lebensrealitäten im Jugendfilm. Diese Liebesgeschichte kommt dabei ohne tragische Narrative aus und behandelt das Thema Queerness aus einer alltäglichen und weniger "herausstellenden" Perspektive.
Alternativ konnten die Teilnehmenden an zwei parallelen Workshops teilnehmen, die praxisnahe Impulse für die Filmvermittlung setzten.
• Workshop 1: Filmemachen als Forschungsreise: Mit dem Konzept des "reflective film" Lebenswelten neu entdecken mit Phil Rieger zeigte, wie Jugendliche mithilfe niedrigschwelliger filmischer Methoden ihre Lebenswelt erforschen und reflektieren können.
• Workshop 2: Film und Digitalisierung – Wie verbinde ich digitale Elemente mit Film? mit Eva-Maria Schneider-Reuter und Naomi Hofmann bot Methoden, digitale Elemente sinnvoll mit Filmarbeit zu verbinden – ein zentraler Aspekt für die Lebensrealitäten heutiger Kinder und Jugendlicher.
Nach der Mittagspause präsentierten Daniel Hellwig und Suayip Günler ihr im Rahmen des Förderprogramms "Movies in Motion" entstandenes Best-Practice-Projekt "Smombies" – einen mit Jugendlichen entwickelten Film über Handysucht. Die Teilnehmenden zeigten sich beeindruckt von der professionellen Umsetzung und dem kollaborativen Ansatz. Das anschließende "Movies in Motion"-Netzwerktreffen mit Projektleiterin Gundel Breuer und Projektmitarbeiterin Sandra Weires-Guia bote Raum für den Austausch über erfolgreiche Methoden in der Filmarbeit mit jungen Menschen.
Mit der Vorstellung der sich in Gründung befindenden AG Filmvermittlung wurde ein wichtiger Schritt zur bundesweiten Vernetzung freier Filmvermittler*innen geschaffen. Die Gründungsmitglieder Lisa Haußmann und Eva-Maria Schneider-Reuter luden zum aktiven Austausch ein. Gemeinsam wurde über Bedarfe, Wünsche und politische Forderungen gesprochen – von Honorarrichtlinien bis zu Fortbildungsangeboten.
Einfühlsam erzählte der nachfolgende Film "Zirkuskind" (Deutschland, 2025) von Santino, seiner Zirkusfamilie und einem Leben jenseits fester Orte. Die Regisseurinnen Julia Lemke und Anna Koch waren vor Ort und sprachen im anschließenden Gespräch, geführt von Charly und Alma der FBW-Jugend Filmjury Chemnitz über ihr dokumentarisches Arbeiten und gaben Einblicke in ihre Erfahrungen als Team und als Filmschaffende. Außerdem berichteten sie von schönen Momenten in der Begleitung der Familie und während des Drehs und über ihr Anliegen, Lebensrealitäten sichtbar zu machen, die im gesellschaftlichen Diskurs oft wenig Platz finden.
Der BJF ist nun bereits in Abstimmung, den Film in die BJF-Clubfilmothek aufzunehmen.
Am späten Nachmittag wurde in drei Arbeitsgruppen zu zentralen Zukunftsfragen diskutiert:
1. Filmkultur für Kinder und Jugendliche – Wie sieht die Zukunft des BJF aus? mit Leonie Rieth und Gundel Breuer (BJF)
2. AG Filmvermittlung – Wie soll Filmvermittlung in Netzwerk und BJF aussehen? mit Lisa Haußmann und Eva-Maria Schneider-Reuter (Gründungsmitglieder AG Filmvermittlung)
3. Filme zeigen – wieso, weshalb, warum? mit Philipp Aubel und Reinhold T. Schöffel (BJF)
Die Ergebnisse wurden am Sonntag präsentiert und aktuell vom BJF aufbereitet und weitergedacht. Ziel ist, die Inhalte künftig allen Mitgliedern und Interessierten für ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen.
Werkstatt der Jungen Filmszene – Kurzfilme und Gespräche zum Filmfestival
Am Samstagabend standen Filme junger Filmschaffender im Zentrum. Die Werkstatt der Jungen Filmszene mit Phillip Aubel (Projektleiter) präsentierte auch in diesem Jahr ein diverses Kurzfilmprogramm mit Themen wie Empowerment, Diskriminierung, Selbstwirksamkeit, Digitalität und KI sowie Digital Detox u.v.m. Der Block bot Rückblick auf die 59. und Vorschau auf die 60. (Jubiläum!) Werkstatt. Besonders das Gespräch mit Andreas von Hören vom Medienprojekt Wuppertal zur Video Tagebuchreihe Ramadan Kareem bot die Möglichkeit zu regem Austausch über das Schaffen von Zugängen zum Medium Film.
Zum Abschluss des Tages begeisterte der niederländische Spielfilm "Lioness" (2023, Regie: Raymond Grimbergen) über das Fußballtalent Rosi. Ein mitreißender Film, der Gespräche über Zugehörigkeit, Freundschaft, Veränderungen und die Konfrontationen im Leben eines jungen Mädchens öffnet. Lange diskutierten die Teilnehmenden unter der Moderation von Ari und Mathilda (FBW-Jugend Filmjury Chemnitz und Münster)
Tag 3
Am letzten Tagungstag, dem Sonntag, konnte wieder mit erfrischendem Yoga gestartet werden. Darauf folgte die Präsentation der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen des vergangenen Tagungstages durch Leonie Rieth, die im Anschluss das intensive Wochenende resümierte und den Raum für die Abschlussreflexion eröffnete.
Eine junge Stimme aus dem Publikum rief die Anwesenden dazu auf, trotz der Schwierigkeit, dass Langfilmformate durch verkürzte Aufmerksamkeitsspannen etc. nicht mehr so gut funktionieren, ins Machen zu kommen und die Hoffnung nicht zu verlieren. Gerade diese Filme müssten weiterhin gezeigt werden, weil sie eigene Welten sind und ebendiese veranschaulichen. Das sei für uns alle wichtig, da es uns die Möglichkeit gebe, neue Perspektiven zu erlangen und Zugänge zu Welten zu eröffnen.
Der norwegische Film "Lars ist LOL"aus dem Jahr 2024 (Regie: Eirik Sæter Stordahl) bildete in Anknüpfung daran einen würdigen Tagungsabschluss, während sich die BJF‑Mitglieder erneut zur jährlichen Mitgliederversammlung trafen. Die bewegende Freundschaftsgeschichte zwischen Amanda und Lars sorgte für intensive Gespräche – unter der Leitung von Ari und Lotte von der FBW-Jugend Filmjury Chemnitz und Frankfurt – über Mobbing, Mut und Selbstermächtigung.
Herzlicher Dank
Ein herzlicher Dank gilt allen Beteiligten, den jungen Jurymitgliedern, den Filmschaffenden, den Referierenden sowie den vielen engagierten Filmvermittler*innen. Die BJF-Jahrestagung 2025 hat erneut gezeigt, wie kraftvoll und lebendig Filmkultur sein kann – wenn wir sie gemeinsam gestalten. Es bleibt spannend, wie der BJF auch im kommenden Jahr die aktuellen Begebenheiten der Kinder- und Jugendfilmarbeit bearbeitet.