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Dokumentation 2021
BJF-Jahrestagung

Eine junge Generation in den Startlöchern

BJF-Jahrestagung 2021

Die aufgrund der Pandemie um Monate verschobene Jahrestagung des BJF unter dem Motto „Filme fürs Klima – Wie Filme die politischen Jugendbewegungen unterstützen können“ in der Reinhardswaldschule Fuldatal bei Kassel kam bei den Teilnehmenden bestens an. Das diesmal sehr anschaulich anhand von Filmpräsentationen aufgegriffene Thema war brennend aktuell und die ausgesuchten Filme, die zum Teil erst noch in den Kinos starten, sorgten für reichlich Diskussionsstoff. Vor allem durften Jugendliche diesmal nicht nur am Programm partizipieren. Sie bestritten es weitgehend selbst, stellten die Filme vor und diskutierten souverän, eloquent und ausführlich mit den anwesenden oder per Zoom zugeschalteten Filmschaffenden Franz Böhm, Slater Jewell-Kemker, Carsten Rau und Karin de Miguel Wessendorf. Hierzu eingeladen waren u. a. Juli Ziegert, Maurice Conrad und Konstantin Nimmerfroh von der Jugendbewegung „Fridays for Future“ und Anouk Bollmann, Nola Hohlwein, Konstantin Heuberg, Konstantin Marx, Emilia Pegler und Joseph Schneider-Reuter als Mitglieder der FBW-Jugend Filmjurys aus Lüneburg, Chemnitz und Berlin.

Impulse für das Klima

Lisa Haußmann betonte als Programmkoordinatorin der BJF-Jahrestagung zur Begrüßung, wie wichtig es heute sei, politisches Engagement zu zeigen und zusammenzustehen. Günther Kinstler, der Vorsitzende des BJF, erinnerte daran, dass die politische Filmarbeit schon immer ein fester Bestandteil der Clubfilmothek gewesen sei, beispielsweise mit Filmen wie „Nacht und Nebel“ (1956) von Alain Resnais zur NS-Vergangenheit. Oder in den letzten Jahren mit einer Kurzfilmedition zum Rechtsradikalismus und der Durchblick-DVD zum inszenierten Dokumentarfilm „Reconstructing Utøya“ (Carl Javér; 2018) vor dem Hintergrund der Massenmorde eines Rechtsextremisten in Norwegen. Neben aktuellen Filmen zum Thema Migration gibt es nun noch einen weiteren Schwerpunkt der Clubfilmothek zum Thema Klimawandel, der im Mittelpunkt der Jahrestagung steht. Kinstler schloss mit einem bis heute aktuellen Zitat von Charles Chaplin aus dem Film „Der große Diktator „ (1940): „Lasst uns kämpfen für eine neue Welt, für eine anständige Welt! Die jedermann gleiche Chancen gibt, die der Jugend eine Zukunft und den Alten Sicherheit gewährt.“

Juli Ziegert von Fridays for Future setzte weitere Impulse zum Auftakt. Sie wurde seinerzeit durch den Film „Wall-E“ auf das Thema Klima aufmerksam. Im Vergleich mit der heutigen Zeit entstand bei ihr der Eindruck, dass vieles nicht so läuft wie erhofft. Filme, die sich kritisch mit dem Zustand der Welt auseinandersetzen, können zwar neu motivieren und einem Halt geben. Aber zugleich geht manchmal auch der Mut verloren, weiter zu kämpfen. Konstantin Heuberg wünscht sich daher Filme, die in eine andere Richtung gehen, die zeigen, wie politischer Widerstand möglich ist, die neue Perspektiven gegen diese zerstörerische Richtung aufzeigen und engagierte Geschichten darüber erzählen, dass man sich wehren kann und eine neue, gerechtere Welt möglich ist, selbst wenn sie zunächst nur eine Utopie bleibt. Hauptsache sei es, die Tür aufzustoßen und Perspektiven zu eröffnen, denn „wir können gemeinsam eine neue, gerechtere Welt erreichen“. Diese Utopie, für die es sich zum kämpfen lohnt, können gerade Filme sehr gut vermitteln.

Anouk Bollmann und Konstantin Marx von der FBW-Jugend Filmjury wiederum sind der Überzeugung, dass neue Perspektiven, die durch entsprechende Filme eingebracht werden, für den eigenen Aktivismus sehr hilfreich sind, denn Filme haben gerade bei jungen Menschen einen großen Einfluss auf das eigene Leben. Für Konstantin war es der Film „Power to the Children“ über  Jugendparlamente in Indien, der seine eigene Sicht stark veränderte und ihm das Gefühl vermittelte, Teil dieser fremden Welt sein zu können und auf diese Weise ein Stück näher zusammenzurücken. Für Anouk war es ein TV-Dokumentarfilm über den Klimawandel und Massentierhaltung. Dieser Film, der sie regelrecht hineinzog und auf eine emotionale Reise mitnahm, bewegte sie dazu, in Zukunft kein Fleisch mehr zu essen.

Die Vielfalt des Dokumentarischen

Im Prinzip hätte es in der Jahrestagung auch um dokumentarische Formen am Beispiel von Filmen zum Klimawandel gehen können. Nur hätte ein Thema über Wesenszüge des Dokumentarfilms bei vielen Teilnehmenden wohl ein lautes Gähnen erzeugt. Stattdessen ging es diesmal wirklich um die Filme selbst, um ihre Einsatzmöglichkeiten für politischen Aktivismus. Und es war diesmal auch hinreichend Zeit, sie mit den Filmschaffenden ausführlicher zu diskutieren. So ganz nebenbei ließen sich auch falsche Vorstellungen über dokumentarisches Filmschaffen ausräumen, etwas dass ein guter Dokumentarfilm „objektiv“ sei oder aufgrund seines „Designs“ von vorneherein nur für ein kleines Publikum geeignet wäre. Aufgrund der Vielfalt dokumentarischer Ansätze, die in der Filmauswahl deutlich zum Ausdruck kam, und unterschiedlicher Erwartungshaltungen des Publikums lässt sich niemals genau vorhersagen, für wen der betreffende Film wirklich geeignet ist und wer davon so berührt wird, dass die passive Konsumhaltung aufgegeben und eigene Aktivität motiviert wird. Um es also gleich auf den Punkt zu bringen: „Es gibt kein Rezept“ und nicht einmal die persönliche Betroffenheit oder die etwaige aktive Teilhabe der Filmschaffenden am Widerstand gegen klimaschädliche Vorgänge ist unabdingbar für den Erfolg eines Films. Die jungen Gäste konnten stattdessen genau benennen, welche der präsentierten Filme sie besonders wichtig für ihre eigene Arbeit in der Klimaschutzbewegung erachten. Hier schälten sich schnell zwei Favoriten heraus: „Dear Future Children“ von Franz Böhm, der drei junge Aktivistinnen in Chile, Hongkong und Nigeria porträtiert und ihnen eine eigene Stimme gibt sowie „Youth Unstoppable“ von Slater Jewell-Kemker, die zwölf Jahre lang die wachsende globale Jugend-Klimabewegung dokumentierte. Dieser Film wird coronabedingt mit einem knappen Jahr Verspätung vom BJF Ende September 2021 in den Kinos gestartet.

Slater Jewell-Kemker, per Video aus Kanada zugeschaltet, zeigte sich fest davon überzeugt, dass ihr Film, der einen großen Teil ihrer Identität und ihres Lebens ausmacht, politischen Aktivismus unterstützen kann. Denn er macht deutlich, dass die junge Generation die Macht hat, etwas zu verändern und kreativ alternative Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des Konsumverhaltens zu entwickeln. Genau für diese Generation hat sie diesen Film gedreht und selbstverständlich wird sie beruflich als Filmemacherin und privat weiter an diesem Thema dran bleiben.

Arbeiten mit diesen Filmen

Ein auf den Tag verteilter Workshop von Luc-Carolin Ziemann über Tools, Kosten und Rechtefragen, Recherchemöglichkeiten sowie besonders geeignete Filme zum Klimawandel für eine junge Zielgruppe wie für ein jugendliches Publikum, nahm Slaters Film folgerichtig zum Ausgangspunkt für ein Gedankenspiel. Wie lässt sich exemplarisch dieser Film am besten einsetzen, wen könnte man ansprechen und welche Partner und Gäste lassen sich dafür gewinnen? Da der Film sowohl eine politisch-historische Debatte in Gang setzt als auch Gespräche zwischen den Generationen ermöglicht, weil beim Klimaschutz alle Generationen gebraucht werden, lassen sich bei einer Veranstaltung nicht nur AGs und Klimaaktivist*innen ansprechen, sondern auch gesellschaftlich engagierte Personen aller Altersstufen. Hauptsache, es bleibt nicht nur beim Reden über den Film, sondern führt auch zum Machen, zu eigenen Einsichten und Initiativen. Der Zentralstreik in Frankfurt am 13. August oder der 23./24. September vor der Bundestagswahl wären  optimale Veranstaltungstermine. Der Moderation sollte vor dem Film nicht zu viel Raum eingeräumt werden, es reichen Hinweise, die hilfreich für ein besseres Verständnis sind oder Interesse wecken, ggf. durch eine inspirierende Geschichte. Die anschließende Diskussion sollte dann niederschwellig beginnen und die Streitkultur zivilisiert ablaufen, wobei es wichtig ist, bei Bedarf Haltung zu beziehen.
Die meisten dieser Vorschläge gelten auch für andere Filme aus dem Verleihangebot der BJF-Clubfilmothek, wobei insbesondere auf die neue Datenbank des BJF „Filme fürs Klima“ hingewiesen sei mit Infos über Filme zu den Themen Klima, Gerechtigkeit und Umwelt.

Podiumsdiskussion: Den Königsweg für einen guten Dokumentarfilm gibt es nicht

Viele der in den Diskussionsrunden und Filmgesprächen gesammelten Erfahrungen flossen unmittelbar in eine von Eva-Maria Schneider-Reuter moderierte Podiumsdiskussion ein. Daran teil nahmen Franz Böhm („Dear Future Children“), Carsten Rau (Atomkraft Forever“), Karin de Miguel Wessendorf („Die rote Linie“), Konstantin Heuberg & Emilia Pegler (FBW-Jugend Filmjury), Maurice Conrad & Konstantin Nimmerfroh (Fridays for Future). Deren Beiträge führten noch einmal eindringlich vor Augen, wie unterschiedlich die Herangehensweise der Filmschaffenden ist und wie die Rezeption zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen kann. Selbst wenn nicht alle der Meinung waren, dass die betreffenden Filme dazu beitragen können, sich aktiv politisch zu betätigen, sagt das letztlich nicht viel über die Wirkung und Bedeutung eines Films für den Einzelnen oder für den gesellschaftlichen Diskurs aus.

Franz Böhm beispielsweise wusste zu Beginn des Teamprojekts noch nicht einmal, ob „Dear Future Children“ ein Dokumentarfilm oder ein Spielfilm werden und in welchen Ländern er drehen würde. Auch die Auswahl der Aktivistinnen, zufällig wurden es dann drei junge Frauen, ergab sich erst nach langwieriger Recherche in mehreren Ländern, darunter den USA. Sein Film entstand nicht etwa, um eine bestimmte Bewegung zu unterstützen, sondern um etwas über die Probleme und Motivationen dieser jungen Menschen zu erfahren, die ihr eigenes Leben riskieren und sie einmal selbst zu Wort kommen zu lassen. Dafür musste er ihr volles Vertrauen gewinnen und Sorge tragen, dass das Material von anderer Seite nicht als Beweismittel benutzt werden konnte. Eine Vorsichtsmaßnahme, die sich als dringend notwendig erweisen sollte, wie er berichtete, denn Hongkong versuchte mit Gewalt schon während der Dreharbeiten und später mit Einschüchterungen und Morddrohungen gegen ihn und seine Angehörigen den Film zu verhindern. Böhms Herangehensweise kam beim jungen Publikum offenbar sehr gut an.

Ganz anders arbeitete Karin de Miguel Wessendorf bei ihrem Film „Die rote Linie“ über den Widerstand der Bevölkerung gegen den Braunkohleabbau im Hambacher Forst, obwohl auch sie nicht ihre eigene Perspektive zeigen wollte, sondern die der Aktivist*innen mit ihren sehr unterschiedlichen Motivationen. Im Laufe der vierjährigen Dreharbeiten fiel es ihr zunehmend schwer, weiter die Distanz zu wahren und sich nicht selbst einzubringen, denn die Thematik bewegte sie persönlich stark. An den Protesten selbst hat sie nie teilgenommen.

Carsten Rau verwies darauf, dass ein Dokumentarfilm nur subjektiv, also nie neutral sein kann, denn es geht immer um die eigene Entscheidung der Auswahl und um eigene Eindrücke. Man muss auch nicht notwendigerweise persönlich betroffen sein zumal eine Filmproduktion ein langer Prozess mit vielen Kurven ist und die eigene Betroffenheit dabei eher hinderlich sein kann. Andererseits möchte Rau mit „Atomkraft forever“ selbstverständlich in den politischen Diskurs eingreifen. Denn das Bewusstsein darüber, dass ausnahmslos jedes Kernkraftwerk auf der Welt irgendwann einmal mit einem die gesamte Laufzeit deutlich überschreitenden Zeitaufwand und mit vielen Milliarden an öffentlichen Mitteln zurückgebaut werden muss, scheint ihm nur sehr schwach ausgeprägt. Das gilt sowohl für die Atomindustrie und bei dem von der Technik voll überzeugten Forschernachwuchs als auch für viele Politiker und einen großen Teil der Bevölkerung. Die Kernfrage der Jahrestagung, ob (s)ein Dokumentarfilm die politische Jugendbewegung unterstützen kann, verneinte er jedoch vehement. Denn der Produktionsprozess eines Dokumentarfilms hat wenig zu tun mit politischen Aktionen. Filmemacher*innen sind auch keine Aktivist*innen. Es ist das Thema allein, das fesseln muss. Sein Film soll breitenwirksam gesehen werden, das Alter des Publikums ist Nebensache.
Dieser Aussage konnten Emilia und Konstantin von der FBW-Jugend Filmjury voll zustimmen. Auch für sie steht das Thema im Mittelpunkt, wobei sie ihre Filme immer nach eigenen Interessen auswählen. Maurice von Fridays for Future ergänzte, dass solche Filme für die Bewegung allein deshalb wichtig sind, weil sie über ein wichtiges Ereignis berichten und Öffentlichkeit schaffen. Nicht so einfach ist es, die Leute auch zu empowern. Ist ein Film politisch zu stark aufgeladen, erreicht er vielleicht nur die Befürworter selbst. „Atomkraft forever“ und „Youth Unstoppable“ seien dagegen auch für Leute geeignet, die noch keine klare Position haben, denn sie eröffnen eine Perspektive, wie Konstantin hinzufügte, an der man sich reiben kann, um daraus eigene Schlüsse zu ziehen. Am Ende war sich die Runde einig, dass möglichst verschiedene Arten von Filmen erforderlich sind und es keinen Königsweg für einen guten Dokumentarfilm gibt, egal ob er mit Hilfe von Crowdfunding entstand, mit Unterstützung des Fernsehens oder als unabhängige Produktion. Filme können empowern oder Angst schüren, sie möchten aber immer anregen, etwas zu verändern. Wichtig ist vor allem, dass sie die Menschen ansprechen und zu fesseln vermögen. Und das geschieht am besten durch die Herstellung einer emotionalen Verbindung.

Zum Ende der Tagung waren die jungen Gäste positiv überrascht von den „ermutigenden“ Diskussionen, der Diskussionskultur und den guten Filmen, „mit denen man die Leute begeistern und empowern kann“, „die uns weitergebracht haben“, die „tolle Impulse lieferten“ und ein „echter Gewinn“ waren. Der Dank ging an Lisa Haußmann und BJF-Geschäftsführer Reinhold T. Schöffel, die für diese außergewöhnliche Tagung verantwortlich zeichneten.

Holger Twele

Einzelne Projekte des BJF werden gefördert vom

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend