1970 bis 2020 – 50 Jahre Bundesverband Jugend und Film
Reinhard Middel

Reinhard Middel
Freiberuflich tätiger Film- und Medienpädagoge, Filmpublizist und Autor, u. a. für Vision Kino - Netzwerk für Film- und Medienkompetenz, Prüfer bei der FSK und FSF
Wie bist du zum BJF gekommen? Dein erster Kontakt zum BJF?
Es war Ende der 1980er Jahre, als ich als Mitarbeiter zum Bundesverband der kommunalen Filmarbeit stieß. Dieser nannte sich damals noch gründerzeitnah Arbeitsgruppe für kommunale Filmarbeit und residierte Tür an Tür mit dem BJF, der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, dem Hessischen Filmbüro und der Hessischen Filmförderung, alle ausgestattet mit ersten Computern, auf einer unglaublich beengten und quirligen, bei alledem kommunikativ höchst lebendigen Büroetage neben dem Filmmuseum in der Schweizer Straße 6. Da waren bei aller Verschiedenheit in Organisation und Aufgabenstellung doch irgendwie ‚Schwestern und Brüder im Geiste‘ am Werke. Lange, bevor der Begriff in Mode kam, fand hier schon damals ein filmkulturelles und -politisches, auf lange Sicht sehr erfolgreiches Netzwerken statt. Und in diesem Umfeld war für mich der BJF als einer der exponierten Vertreter der nichtgewerblichen Filmarbeit mit seinem rührigen Immer-Schon-Geschäftsführer Reinhold T. Schöffel, seinen ehrenamtlichen Vorsitzenden und vielen engagierten Mitgliedern ein Garant dafür, dass das nach wie vor aktuelle Gründungsmotto der kommunalen Kinos Andere Filme anders zeigen in pointierter Weise auch für den Umgang mit besonderen Kinder- und Jugendfilmen galt und gilt. Nicht zufällig können der BJF in diesem Jahr, zeitlich etwas später der Bundesverband der kommunalen Filmarbeit mit Stolz auf eine 50-jährige Geschichte zurückblicken – beide wurden im Geist des kultur- und gesellschaftspolitischen Aufbruchs Anfang der 1970 Jahre gegründet. In dieser Konstellation nichtgewerblicher kultureller Filmarbeit ist es meiner Meinung nach ein bleibendes Verdienst des BJF, Kindern und Jugendlichen Filme sowie Filmkultur auch jenseits des Ursprungsorts der bewegten Bilder, dem Kino, immer wieder aufs Neue nahezubringen und zu vermitteln.
Was begeistert dich beim BJF? Was gefällt dir dort besonders?
Seit Anfang an beeindruckt mich das lange Zeit kontinuierlich wachsende „Kerngeschäft“ des BJF, nämlich das Veröffentlichen und für diverse außerschulische wie schulische Interessenten rechtssichere Verfügbarmachen/-halten von Filmen in der Clubfilmothek und in besonderen Editionen wie „Durchblick“. Hand aufs Herz: Welche Kinder- und Jugendfilm-Trouvaillen wären einem wohl alles entgangen, wenn der BJF in den vergangenen Jahrzehnten auf diesem Gebiet nicht so kompetent und engagiert aktiv gewesen wäre? Bemerkenswert ist aber auch, wie sich der BJF – der mit seinen nichtgewerblichen Vertriebs- und Verleihstrukturen und den entsprechenden Präsentationsformen zunächst ja lange die Tradition der 16mm-Filmarbeit hochgehalten hat, dann der Entwicklung von Video und DVD gefolgt ist – mit dem digitalen Medien- und Formatewandel schließlich auch beherzt den neuen Distributions- und Vermittlungsformen inkl. der kreativen Möglichkeiten eigenen Mediengestaltens Heranwachsender zugewandt hat.
Aus dem Blickwinkel aktueller Aufgabenstellungen von Film- und Medienbildung schätze ich besonders, dass der BJF und seine Mitglieder vor Ort über all die Jahre gerade auch in den vielen außerschulischer Einrichtungen und Initiativen der Kinder- und Jugendfilmarbeit an einer filmbezogenen, ästhetischen Vermittlung von Filmkultur und ihrer Werke festgehalten haben – jenseits allzu enger thematisch fixierter pädagogischer Vorgaben schulischen Lernens. Die vom BJF angebotenen Filmarbeitshilfen und filmpädagogischen Begleitmaterialien lese ich in diesem Kontext mit Gewinn. Die Offenheit für außerschulische Zu- und Umgangsweisen macht den Verband und seine Mitglieder nicht erst seit „Movies in Motion“ zu einem starken und förderungswürdigen Partner einer filmkulturellen Kinder- und Jugendbildung, die in ihren Projekten vor Ort in besonderer Weise immer auch bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen verpflichtet sein muss.
Sehr angetan war und bin ich nicht zuletzt von etlichen BJF-Veranstaltungen, -Seminaren und -Tagungen, weil sie die großen Herausforderungen aktueller und zukünftiger Kinder- und Jugendfilmarbeit durch Digitalität oftmals perspektivenreich und immer mit der notwendigen Expertise auf Augenhöhe thematisieren.
Welches besondere Ereignis/Veranstaltung/Aktion verbindest du mit dem BJF?
Zum einen verbinde ich mit dem BJF zahlreiche besonderen Ereignisse und Veranstaltungen um das Jubiläum „100 Jahre Film“, so etwa die Filmgeschichte und den Umgang damit sehr lebendig und adressatengerecht vermittelnden Veranstaltungen rund ums Zelt am Mainufer gegenüber dem Filmmuseum in Frankfurt.
Zum anderen erinnere ich mich an eine Aktion, die bedauerlicherweise am Ende nicht zum gewünschten Erfolg führte. Die dadurch initiierten film- und bildungspolitischen Diskussionen waren dennoch wichtig. Der BJF hatte ja seinerzeit gemeinsam mit anderen namhaften Kinder- und Jugendfilmeinrichtungen einen kinder- und jugendaffineren Filmkanon vorgeschlagen, der auch Werke berücksichtigt, die nicht im 2003 vorgelegten und kontrovers diskutierten Filmkanon der Bundeszentrale für politische Bildung enthalten waren. Es ist wirklich schade, dass diese sinnvolle Initiative damals im Sande verlaufen ist. Mit Blick auf die Auswahl und die tatsächliche Verfügbarkeit der ergänzend und alternativ vorgeschlagenen Werke hätte dieser Kinder- und Jugendfilmkanon ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur Realisierung eines zielgruppengerechten, in der schulischen wie außerschulischen Filmbildungsarbeit breit(er) anerkannten bundesdeutschen Filmkanons werden können. Ein solcher Filmkanon passte 2003 gut in die Aufbruchsstimmung um den damals wegweisenden Kongress „Kino macht Schule“ und die dort verabschiedete Filmkompetenzerklärung. Er hat, wie jüngste Forderungen nach einer Vitalisierung und Vertiefung von filmgeschichtlicher Bildung zeigen, nichts von seiner Aktualität verloren!
Was wünschst du dem BJF für die Zukunft?
Ich wünsche dem ‚altehrwürdigen‘ BJF, dass ihm im Zeitalter (post-)digitaler Erlebniswelten mit seinen Mitgliedern, Filmangeboten, Veranstaltungen, Seminaren, Tagungen, Publikationen, Filmbegleitmaterialien, Netzwerkverbindungen etc. der Turnaround gelingt, um auch in den nächsten 50 Jahren (s)eine Rolle als anerkannter Player auf dem Feld filmkultureller Kinder- und Jugendbildung spielen zu können. Eine nichttraditionsvergessene Zukunftsaufgabe für den BJF und seine Mitglieder wäre doch: In der digitalisierten Gesellschaft Heranwachsende mit neuen Ideen und Angeboten auch fürderhin dafür zu gewinnen und zu begeistern, andere Filme anders zu zeigen und sehen!
Hast du eine persönliche Bemerkung für eine Veröffentlichung?
Bei allem notwendigen Wandel und aller erforderlichen Anpassungsgeschmeidigkeit, die der Medienwandel sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nutzerseite mit sich bringt, wünsche ich mir den BJF auch weiterhin als Qualitätsinstanz in Sachen Kinder- und Jugendfilm. Mit einer Strophe aus einem Gedicht von Peter Rühmkorf:
Also heut‘ zum Ersten, Zweiten, Letzten:
Allen Durchgedrehten, Umgehetzten,
was ich, kaum erhoben, wanken seh,
gestern an- und morgen abgeschaltet:
Eh dein Kopf zum Totenkopf erkaltet:
Bleib erschütterbar – doch widersteh!
Ad multos annos!